Barbara Eckinger war während 20 Jahren Präsidentin der Heimgenossenschaft Schweighof. An der GV am 12. Mai 2023 tritt sie zurück. Im Interview erzählt sie über ihre reichhaltigen Erfahrungen und Erlebnisse in den Diensten des gemeinnützigen Wohnens im Friesenberg.

Interview: Christoph Ackermann, Layouter des Jahresberichts und Friesenbergbewohner

Barbara Eckinger zu Beginn ihrer Präsidentschaft

Du bist im Jahr 2000 in den Vorstand der Heimgenossenschaft gewählt worden, wie kam es dazu?
Eines Tages klopfte Ruedi Haldemann, damals im Vorstand zuständig für die Finanzen, an meine Gartentür und fragte mich, ob ich im Vorstand mitarbeiten wolle. Ich lachte und meinte: «Ich habe doch keine Zeit für Vorstandsarbeit!», worauf er erwiderte: «Zeit hat man immer, es ist nur die Frage, wie man sie einsetzt!» Somit war der Ball wieder bei mir und ich sagte: «Ich überlege es mir.»

Offenbar konnte er dich überzeugen?
Ja, offensichtlich. Ich wurde an der folgenden GV in den Vorstand gewählt und übernahm für zwei Jahre die Aufgabe der Kommunikation.

Im Jahr 2002 bist du Präsidentin der Heimgenossenschaft geworden und trittst nun nach 20 Jahren zurück. Gibt es einen Rückblick auf die letzten 20 Jahre?
Auf meinem Pult liegen die Jahresberichte der letzten 20 Jahre bereit, jedoch wird es mir eher mulmig zumute, wenn ich daran denke, dass ich das alles durchlesen und zusammenfassend wiedergeben soll. Der Stapel ist immerhin fast 10 cm hoch.

Ein Stapel von 10 cm in 20 Jahren Präsidium, war das geplant?
Nein gar nicht. Ich habe mir weder über das Präsidentin-Sein noch über die Amtsdauer im Voraus Gedanken gemacht. Es war mir anfangs auch nicht bewusst, was mit dieser Aufgabe auf mich zukommt. Ich wuchs dann in die Rolle hinein, packte es und bekam Freude daran.

Du wurdest als erste Präsidentin der HGS gewählt. Wie war das für dich?
Ja, Wahnsinn! – Das war überraschend und äusserst erstaunlich für mich. Bis zu meiner Wahl waren immer Männer Präsidenten. Auch die Vorstände setzten sich vorwiegend aus Männern zusammen. Es gab allerdings bereits Jahre davor stets eine Frau im Vorstand, sie schrieb das Protokoll und buk den Kuchen für die Sitzung. Die Tatsache, dass eine kleine, eher konservative Genossenschaft eine Präsidentin wählte, fand ich damals grossartig und es fühlte sich super an.

Wie wurdest du als Präsidentin von den Mitgliedern akzeptiert?
Allmählich merkte ich, dass ich in der Siedlung eine neue Rolle innehatte. Die Menschen nahmen mich anders wahr und begegneten mir irgendwie offener. Ich wurde plötzlich von allen gegrüsst.

Wie machte sich das bemerkbar?
Seit meinem 8. Lebensjahr wuchs ich in der HGS auf. Mit 22 Jahren zog ich weg und kam nach gut 10 Jahren mit meiner eigenen Familie zurück. Für die älteren Bewohnenden, die mich als Kind kannten, war und blieb ich die Barbara. Sie hingegen waren für mich Herr oder Frau Sowieso, ich siezte sie. Als ich dann Präsidentin wurde, boten mir nach und nach alle das Du an.

Was änderte sich für dich durch das Amt der Präsidentin?
Mein Blick auf die Genossenschaft änderte sich merklich. Plötzlich fielen mir Dinge auf, die ich früher nie bemerkt hatte, ja die mich gar nicht interessierten. Ich übernahm Verantwortung fürs Ganze und das veränderte mich und meine Wahrnehmung der Siedlung. Auch wurde mir bewusst, dass Kommunikation essenziell wichtig ist, ich musste lernen mit den Leuten der HGS über die aktuellen, anstehenden Themen zu sprechen, meine Gedanken zu erzählen. Auch die schriftliche Kommunikation mit den Mitgliedern war eine grosse Herausforderung, ich lernte, dass es recht anspruchsvoll ist, Sachen verständlich vermitteln zu können.

Was für ein Erbe hast du übernommen?
Die Heimgenossenschaft funktionierte früher wie viele Traditionsgenossenschaften. Das genossenschaftliche Selbstverständnis beschränkte sich auf günstige Mieten, Bewahren, Pflegen, Erhalten. Es wurde Sorge getragen und massvoll gewirtschaftet. Die Institution Genossenschaft hatte einen eher wertkonservativen Ansatz.

Doch schon vor meiner Zeit im Vorstand begannen einzelne VS-Mitglieder in die Zukunft zu blicken und es bildete sich eine Gruppe von VS-Mitgliedern und Genossenschafterinnen und Genossenschaftern, die sich mit Zukunftsthemen befassten. Das war für mich eine Herausforderung, denn es gab eine spannende Mischung und ein ständiges Ausbalancieren zwischen bewährten Werten und zukunftsgerichteten Ideen. Eine wichtige Frage war schon damals: Wie kann die HGS altersgerechtes Wohnen und kleinere Einheiten bieten?

Was bedeutete für dich der Blick in die Zukunft?
Ich versuchte, auf diesen Zug aufzuspringen, indem ich mich nicht nur nach innen, sondern auch nach aussen orientierte, ich wollte herausfinden, wie das Genossenschaftswesen funktioniert. Ich besuchte Weiterbildungen, die der Verband wbg anbot. Ebenfalls besuchte ich schon von Beginn weg die Präsidien-Treffs, die der Verband 2x jährlich anbot. Ich erinnere mich gut, dass ich an der ersten Veranstaltung eher unsicher einen Saal betrat, der gefüllt war mit lauter weisshaarigen Männern. Ich dachte zuerst, ich sei in die falsche Veranstaltung geraten. Aber nein, das war ich nicht! – Die damaligen Vorstände wurden vorwiegend von Männern präsidiert. Frauen waren dünn gesät in Genossenschaftsgremien. Jedoch profitierte ich sogleich am 1. Treff vom Gespräch mit meinem Tischnachbar. Die erste GV stand bevor und das machte mir ziemlich Bauchschmerzen. Dieser Präsident hat mich bestens beraten, kam sogar zu mir nach Hause und spielte mit mir die GV durch. Er zeigte mir, was wichtig ist und worauf ich achten musste. Das gab mir Sicherheit.

Besuchtest du weitere Präsi-Treffs?
Ja, fast jeden! Es gab immer interessante Themen und der Austausch war wertvoll. Ich lernte dort auch, dass die Genossenschaft-Szene eine grosse Gemeinschaft ist, die dieselben Interessen verfolgt. Wir Genossenschafterinnen und Genossenschafter müssen in die Zukunft blicken, die Entwicklungen im Wohnungsmarkt verfolgen, wir sollen über unseren Gartenzaun hinausblicken und uns für allgemeine, gesellschaftliche Themen öffnen. Ich konnte von jedem Präsi-Treff profitieren, denn die Kolleginnen und Kollegen pflegen einen offenen Austausch. Ich habe viele neue Bekanntschaften gemacht.

Und übrigens ist mir, wenn ich jetzt zurückblicke und an meine ersten Treffen denke, bewusst geworden, dass die Szene inzwischen bunt gemischt geworden ist. Es gibt jetzt viele Frauen in den Präsidien von Genossenschaften.

Was waren die grössten Veränderungen in der Siedlung?
2004 plante der Vorstand, in allen Häusern Zentralheizungen einzubauen. Das bedeutete ein tiefer Eingriff in alle Häuser und musste erstmal von der GV genehmigt werden. Wir haben das im damaligen Vorstand gut vorbereitet und konnten die Mitglieder überzeugen. Die alten Ölöfen wurden durch moderne Gas-Zentralheizungen ersetzt und alle Zimmer konnten fortan beheizt werden. Wir leisteten damals, einen Beitrag zu weniger Schadstoffausstoss. Heute sind unsere Gasheizungen bereits wieder veraltet und wir müssen dringend Alternativen finden.

Eine weitere grosse Veränderung war die Statutenrevision, sie wurde nötig, weil das
26 neue Revisionsgesetz Anpassungen in den Statuten verlangte. 2010 nahmen wir dies in Angriff. Endlich bekamen auch die Frauen in der HGS eine Stimme! – Man stelle sich vor, dass bis dahin pro Haus nur eine Stimme galt und das war ausnahmslos der Mann. Erst wenn dieser nicht mehr im Haus wohnte, sei es durch Tod oder Trennung, konnte die Frau Genossenschafterin werden. Langsam, aber sicher kamen auch wir Genossenschaften in der Moderne an und die Gleichberechtigung nahm Einzug.

Ebenso beschäftigte uns längere Zeit die strategische Planung. Da wurden wir unterstützt von einer Fachperson. Nach zahlreichen Sitzungen kamen wir zum Schluss, dass die HGS, wenn sie 100 Jahre alt ist, durch einen Neubau ersetzt werden soll. Dieser Plan wurde sogar an einer konsultativen Abstimmung von der Mehrheit der damaligen Mitglieder gutgeheissen.

Weitere Meilensteine?
Einige Jahre später hörten wir von der FGZ, dass die Denkmalpflege der Stadt Zürich ein Auge auf unsere Siedlung geworfen hat und sie als schutzwürdig einstuft. Wir nahmen kurz darauf mit der Denkmalpflege Kontakt auf und daraus resultierte später eine gemeinsame Machbarkeitsstudie.

Nach zwei Jahren hatten wir gemeinsam ein gutes Ergebnis erarbeitet, was uns ermöglicht hätte, anstelle zweier Häuserzeilen hindernisfreie Wohnungen zu erstellen.

Aber der Heimatschutz hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht und legte Rekurs ein. Schliesslich bekam er durch alle Instanzen recht mit seiner Meinung, unsere Siedlung sei von nationaler Bedeutung und es dürfe gar nichts verändert werden.

Das war ein Frust nach so einer langen und seriösen Planung.

Und jetzt, wie geht es weiter?
Erst einmal ist es nun einfach so, und wir müssen das akzeptieren. Es wird also keine kleineren Einheiten geben und keine altersgerechten Wohnungen. Die Menschen werden so lange es nur geht, in ihren Häusern bleiben, auch wenn sie jahrelang allein oder zu zweit drin wohnen.

Es ist sicher Aufgabe des zukünftigen Vorstandes, Lösungen zu suchen für diese Problematik. Denn wir haben ja wiederholt gehört, dass bezahlbarer Wohnraum immer beschränkter wird, vor allem für Familien mit Kindern. Daher finde ich es schon fraglich, wie lange wir noch so weiterfunktionieren können. Die Heimgenossenschaft befindet sich diesbezüglich in einer Dilemmasituation, was sehr herausfordernd ist. Denn Lösungen zu finden, die für alle Beteiligten passen, ist ein Ding der Unmöglichkeit geworden. Alten Menschen Alternativen anbieten, ohne sie einfach wegzuschicken und gleichzeitig bezahlbaren Wohnraum für Familien schaffen, ist für die HGS nicht möglich.

Gibt es Ideen für eine Lösung?
Zum Beispiel, eine Gemeinschaft bilden mit anderen Genossenschaften und vielleicht bei einem geplanten Neubau, einen Anteil HGS-Wohnungen, die alters- und behindertengerecht sind, erstellen. Oder eine Liegenschaft erwerben, die man umbauen kann. Es würde allerdings bedeuten, dass solche Wohnungen ausserhalb der bisherigen Siedlung der HGS sind. Das ist aber alles nicht so einfach, ich weiss. Da braucht es für zukünftige Vorstände Zeit, Ressourcen, Ideen und fachliche Begleitung.

Nachbarschaft zur grossen FGZ, wie ist das Verhältnis?
Vor meiner Zeit im Vorstand hörte ich immer eher Negatives über unseren grossen Nachbarn, es hiess, die wollen auch die HGS vereinnahmen. Ich hatte nie Berührungs- ängste und habe immer ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis gepflegt. Auch spürte ich nichts von Übernahmegedanken seitens der FGZ. Wir profitierten sogar eine Weile von Dienstleistungen der FGZ: der Schneeräumung und der Unkrautvertilgung in den kleinen Wegen.

Was bleibt dir am meisten in Erinnerung?
Die unzähligen schönen Begegnungen und Gespräche mit Genossenschafterinnen und Genossenschaftern und die Dankbarkeit, die viele ausdrückten.

Weiter auch Begegnungen mit Kindern. So zum Beispiel ein Junge, der mich fragte: «Du Barbara Eckinger, bist du der Chef vom Hegi?» «Nein ich bin die Chefin!» «Gehört dir denn das ganze Hegi?» «Nein, das Hegi gehört mir nicht, es gehört uns allen!» worauf der Junge wegrannte und schrie: «Yee, das Hegi gehört uns allen!»

Oder das Mädchen, welches seine Eltern im Jahr 2008 fragte: «Ist die Barbara fürs Hegi das gleiche wie Obama für Amerika?»

Gab es auch Schwieriges?
Ja natürlich gab es das auch. Man kann es leider nicht allen recht machen. Wohnen ist sehr persönlich, da gibt es unweigerlich Konflikte. Da wo Menschen zusammenkommen, gibt es unterschiedliche Befindlichkeiten und Meinungen. So spannend, kreativ und vielfältig diese auch sein mögen, stellten sie für mich oft auch eine Herausforderung dar.

Aber auch in schwierigen Situationen habe ich stets versucht wohlwollend und unter Berücksichtigung aller Anliegen und Meinungen, den Blick auf das Ganze zu richten.

Schwierig waren die Situationen, wenn Menschen ihre Häuser verlassen mussten, da sie beispielsweise die steilen Treppen oder den Haushalt nicht mehr bewältigen konnten. Oft war die nächste Station das Altersheim. In den letzten 20 Jahren habe ich viele Menschen in diesen Situationen begleitet.

Und ganz wichtig war und ist es, dass der Vorstand zusammenhält und dass man sich gegenseitig stützt.

Wichtige Fähigkeiten, die ein Präsidium und VS-Mitglieder brauchen?
Das Allerwichtigste ist für mich, dass man nie von sich selbst und den eigenen Bedürf- nissen ausgeht. Es braucht die Fähigkeit, einen, oder besser noch zwei Schritte neben sich zu treten, das Ganze im Blick zu haben und für alle zu denken. Egoisten haben in solch einem Gremium nichts verloren.

Ebenfalls von grosser Bedeutung ist Integrität, nie darf man die Situation, im Vorstand mitzuarbeiten, zum eigenen Vorteil nutzen.

Gibt es den guten Zeitpunkt zu gehen?
Hmm nein, ich glaube das nicht. Es gibt immer Gründe zu bleiben, natürlich auch welche zu gehen. Aber wir wissen ja, wir sind alle ersetzbar. 20 Jahre sind mehr als genug! Ich freue mich darauf, die Verantwortung abgeben zu können und es freut mich sehr, dass jüngere Genossenschafter bereit sind, diese Herausforderung anzu- nehmen und weiterzumachen.

Was wünschst du dem nächsten Präsidium?
Ich wünsche Weitblick und Durchhaltevermögen, den nötigen Biss, Erfolg und viele kreative Ideen zur Weiterentwicklung. Und sehr wichtig auch: Vorstands-Gschpänli die unterstützend und kritisch sind.

Ausblick?
Ich freue mich auf weitere Jahre in der Heimgenossenschaft und bin gespannt darauf, was die Zukunft bringt. Und ja, nun habe ich die Jahresberichte nicht durchgearbeitet. Aber wer wissen will, was in den letzten 20 Jahren sonst noch alles geschah, den lade ich herzlich ein, bei mir den 10-Zentimeter-Stapel der Jahresberichte auszuleihen.

Interview: Christoph Ackermann, Layouter des Jahresberichts und Friesenbergbewohner